Personalisierte Medizin: Die beste Dosis für jeden Menschen
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Medikamente können mittlerweile per Digitaldruck in genau der Dosis hergestellt werden, die Erkrankte brauchen. Das Ziel: mehr Effizienz durch weniger Nebenwirkungen, zuverlässigere Einnahme und optimierte Ressourcennutzung. Ein Start-up aus Schwäbisch Gmünd arbeitet daran, diese Technik nun massentauglich zu machen.
Medikamente sind Männersache: Denn sie sind in der Regel auf männliche Erwachsene ausgerichtet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Tablettendosierung für mehr als die Hälfte der Menschheit nicht optimal ist. Zudem werden überschüssige Medikamente teils unrechtmäßig entsorgt. Sie landen im Abwasser und schädigen dabei die Umwelt, weil Kläranlagen sie nicht herausfiltern können. Das sind nur einige der Probleme, die individualisierte Medizin lösen könnte – und Gründe dafür, warum sie derzeit einen Aufwind erlebt. „Dank personalisierter Medikamente würde nur noch die Dosis hergestellt werden, die auch tatsächlich benötigt wird. Dadurch können wir als Gesellschaft massiv Ressourcen einsparen. Auch die Gesamtkosten einer Therapie würden erheblich reduziert“, sagt Prof. Dr. Christian Franken. Er ist Mitbegründer von Digital Health Systems, kurz: DiHeSys. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, mithilfe von Digitaldruck die Dosierung von Medikamenten zu revolutionieren.
Prof. Dr. Christian Franken (53) ist einer der drei Gründer von Digital Health Systems (DyHeSys), die das Start-up 2018 ins Leben riefen. Heute hat DiHeSys 35 Mitarbeitende aus 17 Ländern. Er studierte Pharmazie, arbeitete lange im Krankenhausbereich und war 13 Jahre lang bei DocMorris tätig, unter anderem im Vorstand.
Neben den gesellschaftlichen Einsparungen verbessert sie auch die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten. Menschen, die beispielsweise unter Bluthochdruck oder Gefäßerkrankungen leiden, müssen oft viele Tabletten einnehmen. Das macht die tägliche Medikation sehr komplex – und kann dazu führen, dass Erkrankten hierbei Fehler unterlaufen. Viele Betroffene nehmen zudem ihre Medikamente nicht konsequent ein. Diese mangelnde Therapietreue kostet das Gesundheitssystem Deutschlands acht bis zwölf Mrd. € jährlich. Schlimmer noch: Rund 50.000 Todesfälle jedes Jahr sind laut Branchenschätzungen die Folge einer falschen Medikamenteneinnahme. Die Idee der individualisierten Medizin ist nicht neu. In den 1960er Jahren bekamen Menschen, die unter Typ-1-Diabetes litten, eine Standarddosis Insulin verschrieben. „Heute wäre das undenkbar“, sagt Prof. Franken. Betroffene können über eine Pumpe oder Spritzen die Insulin-Menge individuell regulieren. Auch in der Therapie von Tumorerkrankungen wird bereits häufig mit einer individuellen Dosierung gearbeitet: Diese wird anhand vieler Parameter wie etwa dem Zustand des Immunsystems genau kalkuliert. „Tabletten jedoch lassen sich aktuell nicht so fein dosieren. Ärzte können nur die Tabletten oder Kapseln verordnen, die auf dem Markt verfügbar sind. Standarddosierungen, nicht individualisiert oder personalisiert. Krankenkassen zahlen die gesamte Packung, auch wenn nur die Hälfte benötigt wird“, erklärt Prof. Franken. „Außerdem gibt es auch nicht für jede Dosis die entsprechende Pillengröße. Das lohnt sich weder kommerziell noch vom Herstellungsaufwand.“
DiHeSys-3D-Drucker
Bis heute – denn mittlerweile gibt es 2Dund 3D-Drucktechnologien, die solch individuelle Medikamentierung ermöglichen. Derzeit ist DiHeSys das einzige Unternehmen, das es bei der 2D-Technik
bis zur Marktreife geschafft hat und beide Druckmethoden anbietet. Ein 2D-Druck von Arzneimitteln ist vergleichbar mit dem Tintenstrahldruck. Die Wirkstoffe werden in Lösungen gebracht
und in einer Kartusche an die Apotheken zum Druck geliefert. Das alles passiert in der Qualität, die notwendig ist, um diese Arzneimittel an der Patientin oder am Patienten einsetzen zu können. In der Apotheke wird schließlich auf Anforderung oder Rezept in einer bestimmten Konzentration auf kleine Oblaten gedruckt. Eine sogenannte In-Prozess-Kontrolle im Druckkopf überprüft noch einmal, wie
viel Wirkstoff aufgetragen wird. So lässt sich die Medikamentierung genau dosieren. Apotheken können unterschiedliche Wirkstofflösungen bestellen und auch in Kombinationen auf die Oblate drucken.
Dabei kommen auch Aromen wie Minze, Erdbeere oder Kirsche zum Einsatz, um die Einnahme geschmacklich angenehmer zu gestalten. Die oder der Erkrankte holt die Bestellung ganz einfach aus der Apotheke ab. Beim Konsum der Oblate ist es von Vorteil, dass sie im Mund haftet – so kann diese nicht versehentlich eingeatmet oder verschluckt werden. „Die Oblate löst sich innerhalb von 20 bis 30 Sekunden auf und der Wirkstoff wird mit dem Speichel vom Körper aufgenommen“, berichtet Prof. Franken. „Da die Anwendung für die Betroffenen sehr einfach ist, haben wir in der Entwicklung mit dem 2D-Druck begonnen.“
Prof. Franken
Beim 3D-Druck gibt es hingegen eine Fülle von Ansätzen. „Wir nutzen eine Technologie, bei der pharmamonografierte Polymere statt Lösungen zum Einsatz kommen“, so der Experte. „Diese
sind biologisch abbaubar.“ Der Wirkstoff wird in das entsprechende Polymer eingearbeitet. Anschließend wird alles analog zum 2D-Druck in eine Kartusche gefüllt. „Druckkopf und In-Prozess-Kontrolle unterscheiden sich allerdings. Im Drucker werden die wirkstoffhaltigen Polymere kurz verflüssigt und erhärten dann.“ Mithilfe digital gedruckter Tabletten können jederzeit änderbare, individuell passgenaue Dosen hergestellt werden. Zudem werden dabei mehrere Wirkstoffe kombiniert. Das ist praktisch für Patientinnen und Patienten, die sonst oft über zehn Medikamente hätten einnehmen müssen. So könnte die Zukunft der gedruckten Medikamente aussehen: Ärztliches Fachpersonal verschreibt die jeweilige Dosis der benötigten Wirkstoffe für den Druck in Apotheken. „Wir stellen das System zur Verfügung: Hardware, Software sowie die Pharmaelemente“, erläutert Prof. Franken. „Der Arzt beobachtet dann, wie die Medikamente anschlagen und passt gegebenenfalls die Dosis an.“ Auch für Kinder und Jugendliche ist individualisierte Medikation sinnvoll. Denn viele Medikamente existieren nicht in kindergerechten Dosen – und die durchs Wachstum bedingten körperlichen Veränderungen der jungen Menschen bringen vergleichsweise schnelle Anpassungen der Dosierungen mit sich.
Allerdings steht die Entwicklung noch am Anfang. Immer noch wird getestet, bei welchen Wirkstoffen und Medikamentenkombinationen welches Verfahren am besten geeignet ist. Zudem werden die Wirkstoffe auf ihre Stabilität, Haltbarkeit und Verdruckbarkeit untersucht. „Derzeit sind knapp 30 Wirkstoffe in der Formulierungsentwicklung“, erklärt Prof. Franken. Wie bei einer konventionellen Formulierungsentwicklung in der Pharmaindustrie muss die Sicherheit der individualisierten Medikamente nach bestimmten Kriterien nachgewiesen werden. „Diese Entwicklung braucht Zeit, da der Rechtsrahmen hier – zu Recht – sehr eng ist“, unterstreicht der Start-up-Gründer. DiHeSys arbeitet dabei einen Wirkstoff nach dem anderen ab und baut so die Anzahl der druck- und kombinierbaren Optionen kontinuierlich aus.
Erste Studien mit Menschen fanden in der Uniklinik Heidelberg statt. Hier erfolgte eine Zusammenarbeit mit der inneren Medizin und der Klinikapotheke. Ein Krebsmedikament wird mit der Universität in Tübingen getestet. „Dieses Medikament hat im Hochdosisbereich so starke Nebenwirkungen, dass viele Betroffene die Behandlung abgebrochen haben“, sagt Prof. Franken. „Die nächstniedrige Dosis, die kommerziell zur Verfügung steht, ist nicht wirksam genug. Durch den Druck konnte die Dosis viel genauer im Verhältnis zu den Nebenwirkungen eingestellt werden.“ Weitere Testungen werden im Umfeld von Bluthochdruck, Organtransplantationen, Tumoren, neurologischen und psychischen Erkrankungen stattfinden.
DiHeSys baut derzeit auf Fördergelder sowie weitere Investitionen – und auf Partner aus der Pharmabranche. Auch der Pharmaindustrie sei bewusst: Personalisierte Medizin ist die Zukunft. Um nicht abgehängt zu werden, sei es besser, schon in dieser frühen Phase mitzuspielen. „Und nicht jedes Medikament muss individualisierbar gemacht werden. Wirkstoffe wie Ibuprofen brauchen das nicht,
da die Individualisierung hier medizinisch keinen Sinn ergibt“, so der Fachmann. Die erste Anwendung für Apotheken war für Herbst 2023 geplant. 2024 möchte das Unternehmen
seine Drucker nicht nur national, sondern auch international vertreiben. Anschließend soll der 3D-Druck zur Marktreife gebracht werden. Prof. Franken rechnet damit, dass in den kommenden fünf
Jahren in etwa 4.000 von 18.000 Apotheken in Deutschland Arzneimittel-Drucker stehen werden. Eine Nachricht, über die sich Patientinnen und Patienten freuen dürften.
Text: Jonathan Fasel