Was haben Cashews mit Erdöl zu tun? Biobasierte Chemikalien im Fokus
Nachhaltigkeit
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Biobasierte Chemikalien – klingt paradox, ist aber der Ursprung der Chemie. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um einen wichtigen Baustein für die Zukunft und eine nachhaltigere Welt. Universitäten forschen an diesem Feld, um effizientere und wettbewerbsfähige Lösungen zu finden.
Cashew-Nussschalen: Das ist es, was Prof. Dr. Till Opatz im Moment sehr interessiert. Er lehrt seit 2010 am Institut für Organische Chemie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. In den Nussschalen sucht Opatz nach etwas, das unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verringern könnte. Denn Erdöl, Gas und Kohle sind nicht nur klimaschädlich, sie werden auch knapper und teurer. Die Industrie braucht neue Wege, um Alltagsprodukte nachhaltiger zu gestalten. Im Öl der Cashew-Schale findet Opatz eine vielversprechende Kohlenstoffquelle, aus der sich unter anderem UV-Absorber für Sonnencremes oder den Kunststoffschutz herstellen lassen – und damit biobasierte Alternativen zu klassischen Erdölprodukten.
Till Opatz (51) ist promovierter Chemiker. Seit 2010 lehrt er am Institut für Organische Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er erforscht organisch-chemische Synthesemethoden, um nachhaltige Alternativen für fossile Kohlenstoffquellen zu finden.
Die Chemie unterscheidet biogene und biobasierte Stoffe. „Zellulose ist beispielsweise ein biogenes Material. Es kommt also in der Natur vor. Biobasierte Chemikalien hingegen sind Stoffe, die durch Umwandlungsprozesse aus biogenen Rohstoffen entstehen. So kann etwa aus Zucker Ethylen und daraus wiederum der Kunststoff Polyethylen gemacht werden", erklärt Prof. Dr. Volker Sieber. Folien oder Verpackungen lassen sich somit auf Basis nachhaltiger Rohstoffe produzieren, welche die Struktur des erdölbasierten Stoffs perfekt imitieren.
Sieber leitet seit 2008 den Lehrstuhl für Chemie biogener Rohstoffe an der TU München. Aktuell forscht er unter anderem mit dem Fraunhofer-Institut zusammen an Caramid, einer neuen Kunstfaser, deren Ausgangsstoff ein natürlicher Duftstoff aus Kiefernharz ist. „Dieses Polymer ist schlagresistenter und leichter als vergleichbare petrochemische Stoffe – also Kunststoffe, die auf Basis fossiler Rohstoffe hergestellt werden." Mit solchen neuen Funktionen werde es einfacher, die meist doch preisgünstigeren fossilibasierten Polymere ersetzen zu können, so Sieber.
Volker Sieber (54) ist promovierter Chemiker. Nach Studium und verschiedenen beruflichen Stationen in der Industrie übernahm er die Leitung des Lehrstuhls für Chemie Biogener Rohstoffe an der TU München. Ziel der Arbeiten am Lehrstuhl ist es, wirtschaftlich und nachhaltig neue Stoffe für die Chemieproduktion und Feinchemikalien herzustellen.
Biomasse ist der Ausgangspunkt für nachhaltige Produkte, dennoch gibt es Konfliktpunkte. Zum einen die sogenannte Teller-Tank-Diskussion. „Sobald eine Konkurrenzsituation zu Nahrungsmitteln entsteht, ist Vorsicht geboten", sagt Opatz. Und Sieber ergänzt: „Auch die Flächenkonkurrenz ist ein Problem, also die Frage, was angebaut wird. Wenn wir dort Zuckerrohrplantagen anlegen, wo vorher Wald war, ist das natürlich nicht nachhaltig." Zudem sei es ein sehr langer Weg vom Rohstoff bis zu den Endverbrauchenden.
Auf der Suche nach einer alternativen Kohlenstoffquelle spielen beim Thema Nachhaltigkeit neben Kosten auch Qualität und Verfügbarkeit eine Rolle. Wie bei allen natürlichen Rohstoffen ist auch bei Biomasse mit jahreszeitlichen und regionalen Schwankungen zu rechnen. Ein Aspekt, der bei der Skalierung biobasierter Verfahren bedacht werden muss.
„Wir retten aktuell mit dem CO₂, das unsere Forschung einspart, nicht die Welt", gibt Opatz zu. Es gehe vielmehr darum, sich der Herausforderung zu stellen, dass die Vorräte an Erdöl, Kohle und Erdgas endlich sind.
Während die theoretischen Grundlagen wichtig sind, zeigen konkrete Anwendungsbeispiele, wie weit die Forschung bereits gekommen ist. Die biobasierte Chemie schafft es zunehmend, Alltagsprodukte nachhaltiger zu gestalten und dabei innovative Wege zu beschreiten. Besonders spannend sind die Projekte, die Reststoffe oder nachwachsende Rohstoffe in wertvolle Chemikalien umwandeln:
Vanillearoma aus Holz: So wird in Mainz an Pharmazeutika geforscht oder auch an Agrowirkstoffen für die Landwirtschaft – auf Holzbasis. Ferulasäure, eine organische Verbindung beispielsweise in Reisstroh oder Eichenholz, kann zu dem Aromastoff Vanillin weiterverarbeitet werden.
Allround-Talent Kleie: Furfural wird aus Kleie gewonnen, den ballaststoffreichen Bestandteilen von Getreide, die bei der Mehlproduktion übrigbleiben. Der Stoff wird bei der Herstellung von Tinten, Kunststoffen, Lösungsmitteln oder Aromastoffen verwendet.
„Circa zehn Prozent der Produkte der chemischen Industrie sind bereits biobasiert", sagt Sieber. Allerdings habe sich an dieser Zahl seit 17 Jahren wenig geändert. Die größte Herausforderung für die biobasierte Chemie sei, gegen das billige Erdöl konkurrieren zu müssen und dafür hocheffiziente Verfahren zur Verfügung zu haben. Um diese Lücke zu schließen, haben sich die Universitäten unserer interviewten Experten mit ihren Studiengängen auf die Fahnen geschrieben, auch die Studierenden auf dieses Thema vorzubereiten. Volker Sieber wünschte, die Forschung würde eine noch größere Rolle spielen: „Das Wichtigste ist heute, breit und interdisziplinär zu denken und zu arbeiten. Die Studierenden müssen die Werkzeuge der modernen, synthetischen Biologie kennen, wie Chemikerinnen und Chemiker denken und wie Ingenieurinnen und Ingenieure handeln können", umreißt er das Ziel des Studiengangs der Chemischen Biotechnologie an der TUM an ihrem Standort für Nachhaltigkeit in Straubing.
Auch in Mainz gibt es eine eigene Vorlesung zur nachhaltigen Chemie mit einem dazugehörigen Praktikum: „Die Chemikerinnen und Chemiker von morgen brauchen das Grundlagenwissen, aber auch die Vergleichbarkeit mit nachhaltigen Alternativen", so Till Opatz. Auf dem Weg der neuen Stoffe in den Markt ist der Preis entscheidend. Deshalb befürwortet Volker Sieber eine Bepreisung der Quelle des Kohlenstoffs. Fossile Brennstoffe seien immer steuerlich gefördert worden. Da biogene Stoffe den Kohlenstoff binden und dieser dann im Endprodukt verbleibe, könnte das zu einer echten Dekarbonisierung der Atmosphäre beitragen. Mit dem Ansatz der CUTs, der carbon dioxide utilisation tax, also Steuern, könnten hier indirekte Anreize gesetzt werden. Till Opatz dagegen hat die Kooperation von Universitäten und Firmen im Blick: „Wir brauchen weniger einen Appell an die Politik als an die Gesellschaft. Der Mut, neue Dinge zu probieren, scheint weniger ausgeprägt zu sein. Das funktioniert in Deutschland leider nicht mehr so gut wie früher und liegt auch an gesetzlichen Einschränkungen. Hier geht uns viel Innovationspotenzial verloren."
Autorin: Kristin Koch